Verfasser:
Thomas Wüst
Beitrag teilen:

Vermögensanlage und Ethik

Wie nachhaltig möchten Sie investieren?

Wissen Sie, wie hoch der CO2-Footprint ihres Wertpapierdepots ist und welche ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsziele Sie mit Ihren Investments verfolgen? Spätestens ab August 2022 sind Finanzdienstleistungsinstitute, die im Wertpapiergeschäft aktiv sind, dazu verpflichtet, Ihre persönlichen Nachhaltigkeitspräferenzen abzufragen. Helfen soll dabei eine größere Markttransparenz, die von kapitalmarktorienterten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern schon heute eine größere Offenheit in Bezug auf deren Nachhaltigkeitsaktivitäten abverlangt.

Unternehmen im Nachhaltigkeitsfokus

Als der britische Essenslieferdienst Deliveroo im März 2021 seinen Börsengang in London plante, hatte das Unternehmen die Wirkung sozialer Risiken unterschätzt. So sorgten Proteste der Fahrer wegen einer zu geringen Bezahlung und schlechter Arbeitsbedingungen bereits während der Zeichnungsfrist für Turbulenzen, was dazu führte, dass zahlreiche Investoren sich nicht an der Neuemission beteiligten. Die Folge war, dass das Unternehmen beim Börsengang statt der angepeilten rund 9 Milliarden Pfund nur eine Bewertung 7,6 Milliarden Pfund erreichte. Darüber hinaus fiel der Aktienkurs gleich am ersten Handelstag um über 30 Prozent.

Neue „ESG“- und „SRI“-Sensibilität

Börsennotierte Firmen tun also gut daran, Nachhaltigkeitsrisiken ernst zu nehmen. Wer heute hier keine Transparenz bietet, hat künftig größere Probleme an das Geld von Investoren zu kommen, die verstärkt nachhaltig investieren möchten. Grund dafür ist der European Green Deal, der unter anderem in Verbindung mit einer neuen EU Taxonomy nun zu einer Finanzmarktreform führt, die ab August 2022 auch im Privatkundengeschäft umgesetzt werden soll. Mit dem European Green Deal verfolgt die Europäische Union das Ziel, bis 2050 zum ersten klimaneutralen Wirtschaftsraum zu werden. Für die ökologische und soziale Transformation sollen in 10 Jahren insgesamt 1 Billion Euro an öffentlichen und privaten Investitionen mobilisiert werden. In diesem Zusammenhang werden einem künftig Kürzel wie „ESG“, das für Environmental Social Governance steht, oder „SRI“ (Socially Responsible Investment) bei der Bezeichnung von nachhaltigen Kapitalanlagen häufiger über den Weg laufen.

Vorsicht Greenwashing

Das neue Regelwerk der EU Taxonmie soll dabei für eine standardisierte Klassifikation von solchen Investments sorgen. Gemäß der Offenlegungsverordnung werden künftig Finanzprodukte nach Artikel 6, 8 oder 9 eingestuft. Investmentfonds, die nach Artikel 6 eingestuft sind, verfolgen keine speziellen Nachhaltigkeitsziele und müssen nur erklären, warum sie Nachhaltigkeitsrisiken für nicht relevant erachten. Werden Fonds nach Artikel 8 („hellgrün“) klassifiziert, fördern sie gemäß ihres Auswahlprozesses die Erreichung von sozialen und ökologischen Zielen, während Artikel 9-Fonds („dunkelgrün“) nachhaltige Investitionen als Hauptziel haben. Nach einer Auswertung von Morningstar zum 31.12.2021 waren damals schon 25,2 Prozent der Investmentfonds in der EU gemäß Artikel 8 eingestuft und 3,4 Prozent nach Artikel 9. Es ist zu erwarten, dass insbesondere das Segment der hellgrünen Artikel 8-Fonds weiter wächst, da hier die Hürden zur Erreichung eines Nachhaltikgeitslabels am geringsten sind. Häufig werden diese Fonds nach einem Best-in-Class-Ansatz gemanagt, was dazu führt, dass in solchen Fonds auch Aktien aus prolematischen Branchen wie Ölproduzenten, Airlines, Energie- oder Rohstoffunternehmen vertreten sind. Nicht jedes Investment-Produkt, das einen grünen Anstrich hat, erfüllt daher auch den ethischen Anspruch, der bei Anlegerinnen und Anlegern in der Praxis erfahrungsgemäß sehr unterschiedlich ausfällt.

Fazit

Die Standardisierung von ethischen Aspekten der Vermögensanlage ist ein schwieriges Unterfangen. Dies zeigt auch die aktuelle Debatte über die Einstufung von Atomstrom und Gas als nachhaltige Form der Energieerzeugung. Daher wird es für alle Investoren trotz der Einstufung von Investmentfonds nach Artikel 8 oder Artikel 9 darauf ankommen, individuell zu prüfen, inwieweit sich die Auswahlgrundsätze eines Anlageprodukts mit dem eigenen ethischen Anspruch deckt. Ein Blick hinter die Kulissen bleibt daher unumgänglich.

Thomas Wüst