Verfasser:
Thomas Wüst
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Aktienindizes: Die wundersame CO2-Reduktion

Am Ende des I. Quartals 2023 war die Welt der ESG-Nachhaltigkeitskennzahlen bei Aktienindizes noch in Ordnung: Der DAX galt wegen seiner Indexstruktur mit einem hohen Industrieanteil und RWE als Kohle-verstromenden Versorger bei den CO2-Emissionen als Dreckschleuder, während technologielastigere Indizes, wie z.B. der MSCI World, eine deutlich bessere Bilanz bei den CO2-Emissionen aufweisen konnten. Doch das hat sich im II. Quartal 2023 dramatisch geändert.

So lag folgerichtig die Kennzahl der gewichteten durchschnittlichen Kohlenstoffintensität (Tonnen CO2E/Mio. USD Verkäufe), wie sie z.B. von der Ratingagentur MSCI ermittelt wird, am Ende des I. Quartals 2023 beim DAX auf einem relativ hohen Niveau von 253,3. Demgegenüber lag dieser Wert beim DJ EuroStoxx 50 mit 162,5 schon deutlich niedriger und beim MSCI World gar mit 140,11 gar um 44,7 % niedriger als beim deutschen Leitindex. Diese Abweichungen waren auf Basis der unterschiedlichen Indexstruktur plausibel und gut erklärbar. So errechnete das Unternehmen right.based on science für den DAX im Jahr 2020 einen XDC-Wert (X-Degree-Compatibility) von 4,9 Grad, was bedeutet: würde die ganze Welt so wirtschaften wie der DAX im Jahr 2020, würde die Erderwärmung 4,9 Grad statt der im Pariser Klimaschutzabkommen angepeilten 2 Grad betragen.

Doch am Ende des II. Quartals 2023 staunte ich nicht schlecht, als ich turnusgemäß das Äquivalent der gewichteten durchschnittlichen Kohlenstoffintensität für den DAX abfragte, lag es nun mit einem Wert von 134,5 deutlich niedriger als am Ende von Q1 – ein Rückgang um sage und schreibe 46,9%. Dieser Einbruch bei den CO2-Emissionen ist mit dem Ausscheiden des Indexschwergewichts Linde alleine nicht erklärbar, zumal diese Indexveränderung bereits Ende Februar 2023 erfolgt ist. Auch sind die beiden Unternehmen mit den höchsten CO2-Emissionen, RWE und Heidelberg Materials, unverändert im DAX vertreten. Doch auch bei den anderen Indizes, dem DJ EuroStoxx 50 und dem MSCI World ging das CO2-Äquivalent zurück: beim europäischen Leitindex fiel der Wert von 162,5 auf 93,99 um 42,2 %, während der Rückgang beim MSCI World von 140,11 auf 118,42 mit 15,5 % deutlich geringer ausfiel.

Da in allen Indizes innerhalb eines Quartals ein entsprechender Rückgang erfolgt ist, liegt die Vermutung nahe, dass sich die Berechnungssystematik in dieser Kennzahl verändert hat. Wenn man jedoch die Äquivalent-Werte einzelner Investmentfonds analysiert, haben die sich vom Ende des I. Quartals bis zum Ende des II. Quartals in deutlich geringerem Umfang verändert. Der Laie staunt und der Fachmann wundert sich.

Kommuniziert wurde von MSCI eine Änderung in der Berechnungssystematik nicht proaktiv. Meine Nachfragen bei entsprechenden Marktakteuren blieben derzeit noch ohne den gewünschten Erfolg. Hier fehlt es aktuell an der nötigen Transparenz.

Fazit: Bei den ESG-Nachhaltigkeitskennziffern ist Vorsicht geboten und ein kritisches Hinterfragen von derart dramatischen Veränderungen im Zeitablauf erforderlich. Am Mark ist die CO2-Reduktion im DAX um knapp 47 % relativ geräuschlos verlaufen. Dies ist leider auch ein Hinweis, dass diesen Kennzahlen bislang in der Breite des Marktes noch wenig bis gar keine Beachtung geschenkt wird. Angesichts der Herausforderungen vor denen wir stehen, ein ernüchterndes Fazit.