Verfasser:
Thomas Wüst
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Nach der EZB-Sitzung: Der heilige Gral der Inflationsprognosen

Heute startet diese Kolumne mit einem Rückblick auf die Jahre 2012 bis 2020 – einer Zeit mit Inflationsraten unterhalb des EZB-Ziels von 2 Prozent. Wir erinnern uns, wie die EZB dafür gescholten wurde, dass in diesem Zeitraum ihre mittelfristige Inflationsprognose – eine Rückkehr der Inflationsrate im Euroraum auf 2 Prozent – nie eingetreten ist. Die Inflationsprognose der EZB war regelmäßig zu hoch und die Zielmarke von 2 Prozent wurde trotz äußerst expansiver Geldpolitik nicht erreicht.

Dass der EZB gemäß ihrem geldpolitischen Auftrag de facto gar keine andere Wahl bleibt, als auf mittlere Sicht über ihre geldpolitischen Maßnahmen, die sie ergreift, die Rückkehr der Inflation auf ihre Zielmarke von 2 Prozent zu prognostizieren, wird dabei oft übersehen. Sonst würde sie mit ihrem Handeln ihrem Auftrag nicht gerecht.

Stellen wir uns vor, die EZB-Präsidentin Lagarde würde mittel- bis längerfristig mit einer Inflationsprognose von 1 Prozent oder 4 Prozent rechnen. Alle Marktteilnehmer*innen würden sich verwundert die Augen reiben und der Aufschrei in der Politik wäre riesig – würde die EZB doch gegen ihr selbstgestecktes mittelfristiges symmetrisches Ziel verstoßen.

Nachdem wir geklärt haben, dass die mittelfristige Inflationsprognose der EZB immer bei 2 Prozent liegen muss, kommen wir nun zur aktuellen Situation. Und da ist es immer gut sich den alten Grundsatz ins Gedächtnis zu rufen, dass Notenbanken ihre Geldpolitik mehr mit Worten steuern als mit Taten. Dazu passt, dass Robert Holzmann, Chef der Österreichischen Nationalbank und Mitglied des EZB-Rats, nach der Sitzung vom 15.12.2022 sinngemäß folgendes gesagt hat: Der EZB-Rat stand vor der Wahl einer taubenhaften Leitzinsanhebung um 0,75 Prozent oder einer falkenhaften Zinserhöhung um 50 Basispunkte. Bekanntermaßen hat sich der EZB-Rat zu letzterem entschieden. Parallel dazu wurde die Inflationsprognose im Euro-Raum für das Jahr 2023 von 5,5 Prozent auf 6,3 Prozent angehoben und für das Jahr 2024 von 2,3 Prozent auf 3,4 Prozent. Nach der neuesten „hawkishen Inflationsprognose“ wird das EZB-Ziel von 2 Prozent also erst im Jahr 2025 mit einer Prognose von 2,3 Prozent erreicht. Dabei muss man wissen, dass die Inflationsprognose auch ein Instrument der Geldpolitik ist, um die mittelfristigen Inflationserwartungen auf der EZB-Zielmarke von 2 Prozent zu verankern. Mit der Entscheidung einer falkenhaften Zinserhöhung um 0,50 Prozent gepaart mit einer Anhebung der Inflationsprognose hat sich die EZB somit für ein klares Signal an die Märkte entschieden: wir stellen die Inflationsbekämpfung auch im Jahr 2023 in den Vordergrund unseres geldpolitischen Handelns.

Das ist das Signal der EZB-Sitzung der vergangenen Woche. Auf einem ganz anderen Blatt steht, wie sich die Inflationsrate im Euroraum tatsächlich entwickeln wird. Lagarde hat in ihrer Pressekonferenz daher nimmermüde betont, dass künftige geldpolitische Entscheidungen „data driven“ sind, also von den weiteren realen ökonomischen Entwicklungen abhängen.

Nun wissen alle Banken-Volkswirte, dass ökonomische Prognosen immer mit einer hohen Unsicherheit behaftet sind. Spannend ist nun, dass sich nicht wenige besagter Banken-Volkswirte nach dieser EZB-Sitzung ganz eng an die EZB gekuschelt haben, in dem sie mit Sorgenfalten auf der Stirn in die Mikrofone und Kameras der Republik hineinposaunt haben, dass nun mit weiter hohen Inflationsraten zu rechnen sei, weshalb die EZB ihre Zinserhöhungen auch im Jahr 2023 weiter fortsetzen müsse. So schnell wird aus einer Prognose, die – wir erinnern uns – in den Jahren 2012 bis 2020 immer zu hoch war, plötzlich ein reales, in Stein gemeißeltes Ereignis.

Ich lache dabei immer hart, wenn ich mich dann an den Interessenkonflikt dieses Berufsstandes erinnere, dass Banken, also deren Arbeitgeber, kurzfristig von steigenden Zinsen profitieren. Alle Anleger*innen, die derzeit für ihre Geldanlage auf dem Tagesgeld ein „erfreuliche Mitteilung“ ihrer Bank erhalten, dass es ab dem 01.01.2023 wieder eine Verzinsung von 0,30 Prozent p.a. auf ihrem Tagesgeldkonto gibt, wissen wovon ich spreche. Das aktuelle Leitzinsniveau liegt nämlich bereits bei 2,5 Prozent.

Doch dieses kurzfristige Gewinnstreben nach einer höheren Zinsmarge ist ein zweischneidiges Schwert. Denn in Zeiten einer restriktiveren Ausrichtung der Geldpolitik leidet z.B. die Investment-Banking-Sparten einer Bank, so sie es noch gibt, unter Einnahmenausfällen durch fehlende Börsengänge. Will heißen: das Provisionsgeschäft kommt unter Druck.

In den Banken kommt es nun also zu Konflikten zwischen dem Provisions- und dem Passivgeschäft. Dabei hat eine höhere Zinsmarge natürlich zweifelsohne den Vorteil stetiger Erträge, solange es noch keine Wertberichtigungen auf der Aktivseite (=Kreditausfälle) gibt. Spannend wird daher, ob manche Banken-Volkswirte, die nun weitere Zinserhöhungen fordern, nicht doch irgendwann hausintern eingebremst werden, da es erste Löcher im Aktiv- und Provisionsgeschäft gibt, welche den schönen Effekt der steigenden Zinsmarge zunichtemachen.

Spannend wird auch, ob unsere Medien irgendwann merken, dass Einschätzungen von Banken-Volkswirten zur EZB-Zinspolitik vielleicht doch mit einem Disclaimer obgleich deren Interessenkonflikte zu versehen sind. Es bleibt also auch im neuen Jahr in vielerlei Hinsicht spannend – auch wie sich die Inflationsrate tatsächlich entwickeln wird. So gehen derzeit nicht wenige Prognoseinstitute davon aus, dass wir bereits 2024 wieder die Zwei vor dem Komma bei der Inflationsentwicklung im Euroraum sehen werden.

Kommen Sie gesund durch die bevorstehenden Feiertage und haben Sie einen guten Start ins Neue Jahr.