Verfasser:
Thomas Wüst
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Follow the money: Kommerzielle Interessenkonflikte bei Polit-Talks

Am vergangenen Dienstag war es wieder soweit: in den Polit-Talks im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) wurde mittels polarisierender Gästeauswahl um Aufmerksamkeit gerungen. Über Varwick, Weidel und Wagenknecht wurde knallharte russische Propaganda in die Wohnzimmer unserer Nation gespült.

Wieder mehren sich die Fragen in den sozialen Medien, warum man im ÖRR solchen Protagonisten, die so gut wie keine Ahnung aber umso mehr lautstarke Meinungen haben, diese Plattform schenkt? Diese Fragen wurden schon in der Pandemie oder beim Aufstieg der Rechtspopulisten immer wieder gestellt. Warum erhalten besonders schrille Stimmen im ÖRR eine Plattform? Warum macht der ÖRR über seine Polit-Talks Stimmen stark, die doch so wenig zu einem echten Expert*innen-Diskurs beitragen?

Ich habe mir diese Frage schon sehr früh gestellt, als bei Jauch & Co. verstärkt Rechtspopulisten der AfD aufgetreten sind, die damals weder auf Bundes- noch auf Landesebene eine große politische Rolle gespielt hatten, die dies gerechtfertigt hätte. Unvergessen der Auftritt von Höcke bei Jauch mit der Deutschland-Flagge über seiner Stuhl-Lehne.

Als Vermögensverwalter, der bei der Aufdeckung von Interessenkonflikten gewohnt ist, den Geldströmen zu folgen, war mir schnell klar, wo hier das Problem liegt. So handelt es sich bei Polit-Talks im ÖRR überwiegend über Auftragsproduktionen von kommerziellen Firmen, die daran verdienen, wenn sie von den Sendern gebucht werden bzw. ein Budget für deren Sendeformat erhalten. Zumeist sind die Moderator*innen als geschäftsführende Gesellschafter*innen direkt an diesen Firmen beteiligt. Dies hat zur Folge, dass die Trennung von Verlag und Redaktion über die meisten Polit-Talk-Formate im ÖRR ausgehebelt wird, da die geschäftsführenden Gesellschafter*innen direkt mit am Redaktionstisch mitwirken, wenn es zum Beispiel um die Themen- und Gästeauswahl geht.

Zur Erreichung von Reichweitenzielen („Quote“) ist es dann nur logisch, dass die Interessen des Kapitals bei diesen sensiblen Prozessen eine gewichtige Rolle spielen. Dass sich durch möglichst schrille Polarisierung Reichweitenziele am einfachsten erreichen lassen, ist aus der Aufmerksamkeitsökonomie hinlänglich bekannt. Dass nun ausgerechnet im beitragsfinanzierten ÖRR, der ja eigentlich frei von derartigen kommerziellen Interessenkonflikten sein soll, diese nun ausgerechnet in Formaten der politischen Meinungsbildung Einzug gehalten haben, hat eine besondere Tragik. Denn dadurch entzieht sich der ÖRR seine wichtigste Daseinsberechtigung in unserer Demokratie, die Bürger*innen frei von kommerziellen Interessen über politische Entwicklungen zu informieren, selbst.

Gerade in Zeiten, in denen der ÖRR durch diverse Skandale ohnehin unter Rechtfertigungsdruck steht, bringt er sich über seine auf Polarisierung gemünzten, kommerziellen Polit-Talk-Formate ohne Not unter zusätzlichen Druck.

Und machen wir uns nichts vor: solange die kommerziellen Polit-Talks diese dominante Stellung im ÖRR haben, werden dadurch auch andere Formate, die ohne kommerzielle Interessenkonflikte produziert werden, infiziert. Denn diese folgen nicht den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie und tun sich dafür aber bei der Erfüllung von Reichweitenzielen deutlich schwerer. Dieser Quoten-Druck kann auch dort zu unerwünschten Anpassungen führen.

Da diese privatwirtschaftlichen Interessenkonflikte im ÖRR gerade im Zentrum der politischen Meinungsbildung nichts, aber auch gar nichts zu suchen haben – zumal sie noch viele weitere Dimensionen haben, schmälern doch ein professionelles Community-Management oder ein Live-Factchecking die Marge der Produktionsfirmen – ist ein breiter, gesellschaftlicher Diskurs darüber überfällig.

Leider wird dieser Diskurs, der für den Erhalt unserer Demokratie und die Stärkung unseres ach so wichtigen ÖRR so unendlich wichtig wäre, aber nicht geführt. Die einzige Erklärung, die ich nach jahrelangem Einsatz gegen diese äußerst verwerfliche Praxis habe, ist, dass die Strukturen in unseren Medien generell so verkrustet sind, dass sich so gut wie keine Medienschaffenden an dieses wichtige Thema heranwagen – gilt man doch dann in der Branche schnell als Nestbeschmutzer*in.

Wie wichtig dieses Thema für den Erhalt unserer Demokratie jedoch ist, hat der scheidende Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, im Jahr 2018 auf einer Podiumsdiskussion in Dresden beispielhaft verdeutlicht: „Ohne die Auftritte von Höcke bei Jauch und anderen wäre die Partei nicht die politische Kraft geworden, die sie heute ist.“

Man mag sich gar nicht vorstellen, was die permanenten Auftritte der Protagonisten, welche derzeit die Putin-Propaganda verbreiten, aktuell in unserer Bevölkerung bewirken. So warnt das Bundeskriminalamt bereits vor gewalttätigen Aktionen und dass die Energiekrise die innere Sicherheit bedroht.

Thomas Wüst