Verfasser:
Thomas Wüst
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Den ETF auf den Impfstoff-Gesamtmarkt wollte keiner haben!

Den ETF auf den Impfstoff-Gesamtmarkt wollte keiner haben!

Erinnern wir uns zurück: Im Sommer letzten Jahres gab es viele Unbekannte. So war es gänzlich ungewiss, ob es jemals überhaupt einen Impfstoff gegen das Coronavirus geben würde. Es bestand Einigkeit, dass die Impfstoffentwicklung ein langwieriges und höchst risikoträchtiges Unterfangen sein würde. Einige Experten stellten zudem infrage, ob es überhaupt zu einer zweiten Welle kommen würde, war doch die Zahl der Neuinfektionen über den Sommer hinweg lange Zeit relativ niedrig. Es wurde auch von einigen Ökonomen kolportiert, dass es keinen zweiten Lockdown geben dürfe und die Schulen ja ohnehin offen bleiben müssten. Demzufolge waren die Kosten eines weiteren Lockdowns also gänzlich unbekannt, da man ja nicht wusste, ob, in welchem Umfang und über welchen Zeitraum dieser politisch umgesetzt werden würde. In dieser Gemengelage voller unsicherer Informationen mussten im Sommer seitens der Politik in den Verhandlungen mit den Pharmaunternehmen Entscheidungen „ex-ante“ getroffen werden.

Verhandlungen, die – wie sich nun anhand veröffentlichter Verträge zeigt – äußerst schwierig sind, geht es doch um die Vorfinanzierung von Forschung, den Studien, den kapitalintensiven Aufbau von Produktionskapazitäten und die Lieferung eines Impfstoffs, von dem zum Zeitpunkt der Vertragsverhandlungen komplett ungewiss ist, ob er überhaupt wirkt bzw. eine Zulassung erhält. Verhandlungen, in denen es eine Machtasymmetrie gibt, ist doch die Politik auf das Know-how der Pharmaunternehmen angewiesen und über denen immer das Risiko eines „Moral Hazards“ schwebt.

Übliche Marktmechanismen werden außer Kraft gesetzt, da kein Unternehmen das hohe Risiko des Scheiterns alleine tragen kann. Viele Ökonomen waren sich daher einig, dass der Staat hier als „Risk Taker“ agieren muss.

Nun, nachdem einige Impfstoffe in einer überraschend kurzen Zeit eine Zulassung erhalten haben, macht sich Kritik vor allem in denjenigen Ländern breit, in denen es zu wenig von den zugelassenen Impfstoffen gibt, während die Länder, die über mehr Impfstoffdosen verfügen, gefeiert werden.

Abgesehen davon, dass es klar war, dass es nach der ersten Zulassung eines Impfstoffs ein Kapazitätsengpass geben würde, kann man sich nun schon die Frage stellen, was an der „Ex-Post-Kritik“ nun berechtigt oder wohlfeil, ja gar populistisch ist – und unter die Rubrik „Wahlkampf“ fällt?

So gibt es mittlerweile die recht deutliche Erkenntnis, dass es zu wenig Produktionskapazität gibt. Es tobt ein Streit unter Ökonomen, ob eine frühe und hohe Bestellmenge nicht nur zu einem „Pull-Effekt“ im Hinblick auf die Forschung und Studien, sondern auch zu einem „Push-Effekt“ im Hinblick auf den Aufbau von Produktionskapazitäten geführt hätten. Doch ist dies der richtige Ansatz?

Meiner Ansicht nach kann die Antwort auf diese Frage nur mit einem klaren NEIN beantwortet werden. Denn in einer Situation der vollkommenen Unsicherheit, wie es im Sommer der Fall war, und der gleichzeitig hohen Bedeutung der Impfstoffe zur Bewältigung einer globalen Pandemie, wäre eine Investition in den Gesamtmarkt und nicht in einzelne Impfstoffhersteller die rational richtige Entscheidung gewesen.

Nach einer Analyse der Duke Universität* vom Dezember 2020 haben Länder zwar durchaus auf mehrere Impfstoffkandidaten gesetzt, aber kein einziges Land auf den Gesamtmarkt. Den „ETF auf den Impfstoff-Gesamtmarkt“ wollte keiner haben. Es wurde bewusst auf „Alpha“ gesetzt.

Das Alpha ist dabei in der Finanzbranche als der Teil der Performance definiert, die jenseits der Marktrendite durch gezielte Entscheidungen über Abweichungen von einem Marktindex generiert wurde. Wer also nun einzelne Länder lobt, weil sie frühzeitig auf die richtigen Pferde gesetzt haben, muss sich bewusst sein, dass er diejenigen lobt, die „ein glückliches Händchen“ gehabt haben. Alpha einzugehen, kann sich also lohnen, ist aber auch im Unterschied zu einer passiven Strategie mit höheren Risiken behaftet. Man denke in dem Kontext nur an die Länder, die auf die falschen Impfstoffkandidaten gesetzt haben.

Übrigens: Wie schwer es ist, dauerhaft ein Alpha zu erzielen, zeigte im vergangenen Jahr eine Analyse der Ratingagentur Scope in Bezug auf die Finanzmärkte, die zum Ergebnis kam, dass es Ende 2019 nur 22 von 731 aktiv gemanagte Aktienfonds mit einem weltweiten Anlageuniversum geschafft haben, ihre Benchmark dauerhaft über einen Zeitraum von 10 Jahren zu übertreffen.

Ein großer Vorteil des „ETFs auf den Impfstoff-Gesamtmarkt“ wäre neben dem hohen Grad der Risikostreuung auch der größere Aufbau von Produktionskapazität – vorausgesetzt man hätte das bei der Impfstoffbestellung vertraglich geregelt und entsprechend finanziert – auch bei den Impfstoffherstellern gewesen, die bei der Impfstoffforschung scheitern. Diese Kapazitäten hätten dann nämlich von denjenigen Firmen genutzt werden können, deren Impfstoff sich als besonders wirksam zeigt.

Fazit:
Kein einziges Land hat in den Impfstoff-Gesamtmarkt investiert. Dadurch, dass alle Länder auf „Alpha“ gesetzt haben, haben sie den Aufbau zusätzlicher Produktionskapazität verhindert. Die Tatsache, dass es nun Lieferengpässe bei den zugelassenen Impfstoffen gibt, war bezogen auf die Welt unvermeidlich, hätte aber durch Investitionen in den Gesamtmarkt abgemildert werden können. Die mangelnden Produktionskapazitäten sind somit nicht auf die Bestellstrategien einzelner Länder zurückzuführen, sondern auf das Versagen der Weltgemeinschaft insgesamt. Die Gefahr ist daher groß, dass diejenigen, die einerseits nun die Länder huldigen, die das Glück gehabt haben, auf die richtigen Pferde zu setzen, und andererseits die Länder kritisieren, bei denen es weniger Impfstoff gibt, es aus rein politischen Gründen tun. Denn versagt haben alle! Auch die vermeintlichen Experten, die im Sommer die Coronavirus-Pandemie ohne Not verharmlost haben und die vielen Medien, die diese Experten nach wie vor eine Plattform bieten. Ein jeder Kehre vor seiner eigenen Tür und sauber ist das Stadtrevier. Viel wichtiger als Steinwürfe im Glashaus ist daher nun der Blick nach vorne mit Kooperationen über Länder- und Firmengrenzen hinweg, damit wir den globalen Herausforderungen einer globalen Pandemie auch global begegnen und unsere Scheuklappen in Bezug auf Ländergrenzen und einzelne Firmen endlich ablegen. Denn versagt haben alle!